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Deutsche in der Ukraine in den 1920er und 1930er Jahren

von Mykola Ševčuk

Die erste Volkszählung in der Sowjetunion von 1926 erfasste 1.238.549 Millionen in der UdSSR lebende Deutsche (0,8 Prozent der Gesamtbevölkerung), davon 393.248 in der Ukraine (1,36 Prozent der Bevölkerung sowie 31,8 Prozent aller Deutschen in der UdSSR). [1] Mehr als 90 Prozent der deutschen Bevölkerung lebten in Siedlungskolonien im ländlichen Raum.

Infolge des Bürgerkrieges und der militärischen Aggression des bolschewistischen Russlands gegen die Ukraine wurde bis 1922 ein sowjetisches Herrschaftssystem etabliert und der Aufbau einer kommunistischen Gesellschaftsordnung in der Ukraine verkündet. Die neuen Machthaber hatten den „Kriegskommunismus“ eingeführt und „überschüssiges“ Getreide und andere Nahrungsgüter konfisziert. Der Widerstand gegen diese Politik zwang die Regierung unter Lenin dazu, „ernst- und dauerhaft“ (rus. „всерьёз и надолго“) eine neue Wirtschaftspolitik zu forcieren. Diese konnte jedoch nicht lange Bestand haben, da die private Landwirtschaft sich nicht zur kommunistischen Doktrin passte.

Nachfolgend ein Zitat aus einer Rede des Prälaten Dr. Anton Fleck während eines Treffens der deutschen Katholiken im Oktober 1918: „Wir bitten die Ukraine nur um eine Sache: dass sie uns ein Stückchen Land zum Arbeiten lasse, das Wirken unserer Schulen nicht beeinträchtige, uns eine gewisse Selbständigkeit gewähre; alles andere wird sich mit Gottes Hilfe fügen.“ [2]

In den Jahren 1921/22 kam es in der Ukraine zu einer Hungersnot. Der Getreidemangel war äußerst kräftezehrend für die Menschen und führte zu einem Rückgang der Bestände an Pferden und anderem Vieh. Ein Beispiel aus den Kolonien in der Nähe von Odessa: In der Kolonie Elsass dezimierte der Futtermangel die Pferdebestände von 816 auf 300, in der Kolonie Neuburg verendeten 232 von 335 Pferden oder wurden geschlachtet. Bereits im Sommer 1921 begannen die Kolonisten mit der Massenschlachtung von Vieh. [3]

Im Gouvernement Odessa betrugen die Verluste bei den Winterweizen- und Roggenerträgen zwischen 35 und 75 Prozent der Gesamtmenge, bei anderen Getreidearten waren es zwischen 45 und 98 Prozent; im Gouvernement Jekaterinoslaw bewegten sich die Verluste zwischen 75 und 95 Prozent, beziehungsweise zwischen 40 und 92 Prozent. [4]

Im Dezember 1921 kamen erste Informationen über Fälle von Hungertoten in den Kolonien bei Odessa und Voznesens’k in Umlauf. [5] Der Höhepunkt der Hungersnot war zum Winterende bzw. Frühlingsanfang 1922 erreicht. Im Mai 1922 litten knapp 80 Prozent der deutschen Bevölkerung in den Gouvernements Saporischschja und Mykolajiw Hunger, in Donezk waren es 65 Prozent, in Odessa und Jekaterinoslaw 50 Prozent. [6] Die sowjetischen Machthaber schlossen mit ausländischen Organisationen ein Abkommen zur Unterstützung der mennonitischen Kolonien ab, was sich als höchst effektiv erwies. Aus Deutschland, das selbst mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatte, kam Hilfe für ukrainische Deutsche von nichtstaatlichen Organisationen, die von emigrierten Kolonisten gegründet worden waren, etwa der „Vereinigung von Bürgern deutscher Rasse“ oder der „Vereinigung deutscher Kolonisten der Schwarzmeerregion“. Ab April 1923 wurden die Aktivitäten der ausländischen Hilfsorganisationen in der Ukraine eingeschränkt, da sie nun als „konterrevolutionär“ eingestuft wurden. [7]

Die Anzahl der Hungeropfer unter den deutschen Kolonisten wird auf etwa Zehntausend geschätzt. [8] Der ukrainische Historiker Stanislav Kul’čyc’kyj kommt in einer Studie zur Geschichte des Kommunismus in der Ukraine zu folgendem Schluss: „Der Hungerterror wurde 1921 zuerst in der Ukraine eingeführt.“ [9]

In Anbetracht der Hungersnot zwangen die bolschewistischen Machthaber die deutschen Kolonisten dazu, eine zwei- bis dreimal höhere Abgabe von Nahrungsmitteln zu entrichten als in den ukrainischen Dörfern üblich, jedoch nicht aus nationalen Gründen, sondern in Anbetracht ihrer besseren wirtschaftlichen Entwicklung. Für ihren Widerstand gegen die Staatsgewalt wurden die Deutschen beschuldigt, an den antibolschewistischen Aufständen von 1919 in den Kolonien Großliebental, Mannheim, Selz, Neusatz, Karlsruhe, München und anderen Ortschaften teilgenommen sowie gegen die Nahrungsmittelabgabe und die bolschewistische Regierung agitiert zu haben. [10] Bei den Gerichtsurteilen wurden Deutsche aufgrund ihres Widerstands gegen die Staatsgewalt zu fünf bis zehn Jahren Strafarbeit und Freiheitsentzug verurteilt. Einige der Verurteilten wurden „im Zuge des vierten Jahrestags der Oktoberrevolution“ oder des „fünften Sowjetkongresses“ amnestiert. [11]

Archivdokumente zeugen davon, dass die Politik der „sowjetischen Genossenschaften“ unter den Deutschen Misstrauen weckte und daher nur sehr langsam umgesetzt wurde. Den Dokumenten ist zu entnehmen, dass „die Genossenschaften von oben organisiert“ waren, viele von ihnen „aufgrund der Passivität der Massen“ wieder zerfielen, dass aufgrund des Einflusses der Regierung auf die Genossenschaften der Wunsch bestand, die Klassenunterschiede in den Kolonien zu verschärfen und die „nationale Einheit zu zerstören.“ [12] Zum ersten März 1924 existierten in den deutschen Kolonien des Bezirks Odessa 13 landwirtschaftliche Kreditgenossenschaften mit einer Mitgliederstärke von 1.474 Personen. 1926 waren in sämtlichen deutschen Kolonien 27 landwirtschaftliche, 24 Konsum- und sieben Kreditgenossenschaften registriert. Im Laufe der Zeit wandelten sie sich zu „mächtigen finanzwirtschaftlichen Institutionen.“ [13]

Es ist festzuhalten, dass bei den Entscheidungen der Parteiorgane in der Ukraine Forderungen erhoben wurden, „den Besonderheiten der deutschen Bevölkerung mehr Aufmerksamkeit entgegenzubringen“, zu fordern, dass die Führungskader „die Sprache und Lebensweise dieser Nationalität kennen“, die „Partei- und politischen Bildungsarbeit“ zu stärken, und gegen „die feindselige Haltung der russischen und ukrainischen Bauern gegenüber den deutschen Kolonisten“ vorzugehen. Dies deutet auf eine Tradition der vorbildlichen landwirtschaftlichen Betriebsführung durch die Deutschen hin. [14]

Wirtschaftliche Not und Repressionen seitens der Regierung schürten die Auswanderungsstimmung. Von 1922 bis 1924 emigrierten 8.000 deutsche Kolonisten, deren Kinder nicht einberechnet. Mehr als 20.000 Deutsche beantragten die Ausreise. Bis Ende 1923 hatten 2.500 Mennoniten die Ukraine verlassen. Die Behörden begannen damit, Gruppenanträge der Deutschen abzulehnen, stellten keine Pässe mehr aus und erhöhten die Preise für Pässe und Konsulatsgebühren. [15]

Im Sommer 1926 erlitten die Anhänger einer Demokratisierung des Landes eine Niederlage. Die Plena des Zentralkomitees der Partei stellten im Jahr 1928[H1]  die Weichen für den Übergang zu einer Zentralverwaltungswirtschaft. Die Gründe für die wirtschaftlichen Rückschläge wurden mit dem Widerstand der „Klassenfeinde“ erklärt. Gerichtsprozesse gegen „Schädlinge, Saboteure, Terroristen“ setzten ein. Alle, die sich weigerten, Getreide zu staatlich festgelegten Preisen abzugeben, wurden strafrechtlich verfolgt. Die unzufriedenen Deutschen wurden in großer Zahl ihres Stimmrechts beraubt. Es begannen auch Repressionen gegen die Initiatoren der Ausreise aus der Ukraine. Bis zum Sommer/Herbst 1929 nahm die Auswanderungsbewegung der Deutschen „katastrophale Ausmaße“ an. 13.000 Deutsche aus verschiedenen Regionen (der Ukraine sowie der UdSSR) beantragten bei der deutschen Botschaft in Moskau eine Ausreisegenehmigung. Sie wurden inhaftiert, verhört oder gegen ihren Willen an ihre Wohnorte zurückgebracht. Zum Schutz ihrer Interessen begannen die deutschen Konsulate mit der Ausstellung von deutschen Nationalpässen. 5.886 Deutschen, die in Moskau geblieben waren, wurde die Ausreiseerlaubnis nach Deutschland erteilt. [16]

In den 1920er Jahren hielten sich in der UdSSR mehr als 20.000 Fachleute aus Deutschland auf. Angesichts der innenpolitischen Lage begannen auch sie, das Land zu verlassen. Eine Welle von Gerichtsprozessen erfasste die technische Intelligenz. Der bekannteste Prozess ist der „Schachty-Prozess“ von Donezk. Unter den Festgenommenen befanden sich deutsche Staatsangehörige. 1930 fand der „Prozess gegen die Industriepartei“ statt, bei dem der berühmte deutsche Geologe Eduard Fuchs als „Kopf der Schädlinge“ überführt und zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. [17]

Doch es gab unter den Deutschen auch Anhänger der Sowjetregierung, etwa Emmanuel Quiring, der zwischen 1923 und 1925 das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU) leitete und 1937 verurteilt und hingerichtet wurde. Oleksandr Schlichter gehörte dem Politbüro des Zentralkomitees der KPU an und war ein Befürworter der Kollektivierung der Landwirtschaft. Die Deutschen waren auch in der Vereinigten Staatlichen Politischen Verwaltung (ukr.: DPU; russ.: GPU) tätig. Die deutsche Zweigstelle des Provinzkomitees der KPU in Odessa bestand aus drei Kommunisten. Am ersten November 1920 zählten die Kolonien des Bezirks Odessa 16 kommunistische Gruppen, bis 1928 betrug die Anzahl der Kommunisten 46 Personen (somit kommt ein deutscher Kommunist auf 1.200 Einwohner, ein ukrainischer Kommunist auf 300 Einwohner) [18]. Unter den deutschen Lehrern gab es keine Kommunisten.

Bis Oktober 1928 waren in der Ukraine weniger als vier Prozent der ländlichen Nutzfläche kollektiviert worden. Der Anteil der landwirtschaftlichen Genossenschaften (Kolchosen) reichte nicht über zwei bis drei Prozent hinaus. [19] Die Regierungspartei ging zur Umsetzung von Stalins Idee der „durchgängigen Kollektivierung“ über mit dem Ziel, die Kontrolle über die Bauernschaft zu erlangen. Die Bauern wurden gezwungen, sich zu Kolchosen zusammenzuschließen, die Höfe von „Kulaken“ (Großbauern) wurden liquidiert. Die Familien der „Dekulakisierten“ wurden in spezielle Kulakenlager verschickt oder in entlegene Gebiete der UdSSR (darunter Kasachstan und Sibirien) deportiert. Aufgrund der Verschärfung der politischen Lage erschien am zweiten März 1930 unter dem Titel „Vor Erfolgen von Schwindel befallen“ ein Artikel von Stalin, der die Exzesse während der Kollektivierung verurteilte. Dies führte zu einem massenhaften Ausstieg aus den Kolchosen. 1930 forderten an die 600 Frauen aus den Kolonien des Distrikts Kutschurhan, dass die Behörden ihnen binnen einer Woche ihre Höfe zurückgeben, ihre verhafteten Männer freilassen, die Kolchosen auflösen, Frauen das Wahlrecht zugestehen und atheistische Propaganda abschaffen. [20] Aus dem Gebiet Odessa wurden 1930 5.500 Bauern vertrieben, davon waren 37 Prozent Deutsche. [21] Im Winter 1930/31 setzte eine neue Kollektivierungswelle ein, und im März 1931 eine Kampagne zur Liquidierung des Kulakentums. Lückenhaften Schätzungen zufolge wurden bis zum Sommer 1931 32.500 deutsche und mennonitische Familien (zusammen 150.000 Personen) dekulakisiert. [22]  Die Getreidebeschaffungskampagnen erwiesen sich als Katastrophe für die Bauern. In den Jahren 1929/30 konnten die Deutschen die staatlichen Abgabenormen für Brot erfüllen. Der neue Plan für das Jahr 1932 von 310 Millionen Pud [ein Pud entspricht 16,380 kg, Anm. d. Red.] entpuppte sich für die Bauern als unerreichbares Unterfangen. Aufgrund der repressiven Politik von November 1932 bis Januar 1933 wurden 1.208 „konterrevolutionäre Kolchosegruppen“ liquidiert und 6.682 Deutsche festgenommen. [23]

In der Ukraine konfiszierte der Staat fast das gesamte Getreide, da es dort den heftigsten Widerstand gegen die staatlichen Beschlüsse gab. „Stalin nutzte die Getreidebeschaffung in der Ukraine als politische Waffe.“ [24] 1932 begann die Hungersnot. Die Regierung behauptete, die Hungersnot sei „vorgetäuscht“ und von „Kulaken, Nationalisten und Faschisten“ geschürt worden. 1933 starben in den Städten 1.700 Deutsche an Hunger, in den Dörfern waren es 12.000. [25] Die Hungersnot wurde zunächst vertuscht, doch die von den Behörden ergriffenen Maßnahmen waren erfolglos.

Die deutsche Regierung genehmigte 17 Millionen Mark für die Hungernden in der UdSSR. Nach Angaben der DPU kam der Ukraine zwischen April 1933 und April 1934 aus verschiedenen Ländern Beihilfe im Umfang von 487.821 vergoldeten Karbowanzi [26] zuteil. Die mit diesem Geld erworbenen Lebensmittel retteten Tausenden hungernden Deutschen das Leben, während die Gesamtzahl der Opfer der Hungersnot in der Ukraine von Stanislav Kul’čyc’kyj auf 4,5 bis 4,8 Millionen Menschen geschätzt wird. [27] Kul’čyc’kyj gibt zu bedenken, dass der „stalinistische Terror nicht gegen die Menschen einer bestimmten Nationalität oder Tätigkeit gerichtet war, sondern gegen alle Bürger des ukrainischen Staates…“. [28]

1934 verschärfte sich der Staatsterror. Einem Bericht über den Stand der Ermittlungen „gegen die deutschen Konterrevolution“ zufolge wurden 1936 in der UdSSR 502 Ermittlungsfälle gegen 1.757 Personen geführt (es gab 1.746 Festnahmen). 114 Personen wurden der Spionage und des Vaterlandsverrates beschuldigt; 475 der Stör- und Sabotagetätigkeit, 41 der Durchführung von Terrorakten, 1.127 der nationalistisch-faschistischen Tätigkeit. [29] Der Höhepunkt des stalinistischen Terrors fiel auf die Jahre 1937/38. So wurden alleine im Donbas während der „Deutschen Operation“ von 4.265 verhafteten Deutschen 3.608 – insgesamt 84,6 Prozent – erschossen. [30]

Im April 1923 hatte die Partei Lenins die Einführung einer Indigenisierungspolitik [sog. Korenisatsija] angekündigt, deren ukrainischer Ableger die Bezeichnung „Ukrainisierung“ erhielt. Als offizieller Zweck dieser Politik galt die Förderung der Kultur und Sprache der Nationalitäten, doch es ging vor allem darum, die Partei in den nationalen Republiken zu verwurzeln.

In den 1920er Jahren war eine dem Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten der Ukraine angegliederte Abteilung für nationale Minderheiten aktiv, samt jüdischen, polnischen und deutschen Unterabteilungen. Solche Abteilungen waren auch bei den Gouvernementskomitees der Partei sowie bei den Exekutivbehörden angegliedert. Sie wirkten in sieben (von zwölf) deutschen nationalen Bezirken (Rayons), in denen 1927 111.189 Menschen (28 Prozent der gesamten deutschen Bevölkerung) lebten. 1931 gab es 252 deutsche Dorfräte, von denen 84 in deutschen nationalen Bezirken (Rayons) lagen, 151 in ukrainischen Bezirken, 17 in anderen Bezirken (und damit an zweiter Stelle unter den Minderheiten). [31] Dies erhöhte ihre gesellschaftliche Aktivität. 1925 gab es im Süden der Ukraine 17 deutsche und 17 gemischte Komsomol-Organisationen mit einer Gesamtmitgliederzahl von 548 Personen. Deutsch war in den nationalen Bezirken die Amtssprache, die allerdings alle 1939 aufgelöst wurden.

Die deutsche Schule hatte mit einer schwierigen finanziellen Lage der Lehrkräfte, der Sowjetisierungpolitik (die sie in der Regel ablehnte) und dem Mangel an Lehrbüchern in deutscher Sprache zu kämpfen. Spezielle Kurse schulten die Mehrheit der Lehrkräfte um, die Zahl der deutschen Schulen nahm zu – von 192 Schulen mit 13.050 Schülern in den Jahren 1925/26 auf 279 Schulen mit 18.673 Schülern in den Jahren 1926/27. 80,7 Prozent der deutschen Kinder zwischen acht und 14 Jahren erhielten in diesen Schulen ihren Unterricht – davon lernten 77,8 Prozent in ihrer Muttersprache. [32] 1926 arbeiteten 1.200 Lehrer in den deutschen Schulen.

Einer Reihe von Wissenschaftlern zufolge hatte die Widersprüchlichkeit der sowjetischen Nationalitäten- und Kulturpolitik der 1920er und 30er Jahre auch positive Effekte. [33]

1924 eröffnete am Institut für Volksbildung in Odessa ein deutsches Zentrum, um nationales pädagogisches Lehrpersonal auszubilden, doch es herrschte ein Mangel an Lehrkräften für deutsche Sprache. Der Anteil von deutschen Studierenden am Zentrum lag bei sechs Prozent (der von Ukrainern und Juden bei 40 Prozent, von Russen bei 13 Prozent). 1934 entstand schließlich auf Grundlage des Zentrums das einzige deutsche pädagogische Institut in der Ukraine. Es herrschte ein akuter Mangel an wissenschaftlich-pädagogischem Lehrpersonal. Der ideologische Ansatz bei der Aufnahme von Studierenden aus armen Familien – sozialen Aufsteigern – führte dazu, dass auch bildungsferne Studierende aufgenommen wurden, die oft kein Deutsch sprachen.

Im Dezember 1933 begann die strafrechtliche Verfolgung deutscher Pädagogen in einem zwölf Personen betreffenden Gerichtsprozess. Die Hauptangeklagten waren die Professoren Reinold Mickwitz und Alfred Ström, die als Mitglieder einer konterrevolutionären deutschfaschistisch-nationalistischen aufständischen Organisation sowie als deutsche Spione verhaftet wurden. [34]. Allein in Odessa gab es in den 1930er Jahren unter den Pädagogen 30 Opfer des Strafsystems. Davon wurden 13 erschossen, der Rest erhielt Gefängnis- und Exilstrafen zwischen drei bis zehn Jahren. [35] Im Zuge der Auflösung der nationalen Schulen und Universitäten im Jahr 1938 kam es zu einer Umbildung des Deutschen Pädagogischen Instituts in Odessa in das Institut für Fremdsprachen, was eine Abkehr von der früheren Nationalitäten- und Kulturpolitik bedeutete.

1933 eröffnete das deutsche Arbeiter- und Bauern-Theater (es gab auch polnische, jüdische und bulgarische Arbeiter- und Bauern-Theater). Die sowjetische Regierung nutzte das Theater, um ihren politischen Einfluss zu erhöhen. Das Theater besuchte die deutschen Kolonien und spielte eine gewisse Rolle bei der Herausbildung einer nationalen Theaterkultur. [36]

Die Sowjetregierung trennte die religiösen Institutionen vom Staat und kämpfte gegen die Kirche an. Den geistlichen Würdenträgern wurde das Wahlrecht entzogen, sie wurden verhaftet und ins Exil geschickt. Dennoch blieb die Kirche für die Deutschen in diesem Zeitraum ein geistiges und kulturelles Zentrum.

Das Ende der 1930er Jahre war sowohl in der UdSSR als auch in der Ukraine durch eine Einschränkung der Förderung nationaler Minderheiten sowie eine Verschärfung der Repressionen gekennzeichnet. Im selben Maße, wie sich die Spannungen zwischen Moskau und Berlin verschärften, verstärkte sich die Verfolgung der Deutschen in der Ukraine.

Aus dem Ukrainischen von Johann Zajaczkowski

Literatur- und Quellenverzeichnis:

[1] Viktor Klec: Nemeckoe Naselenie Ukrainy v Sovetskij Period: Dinamika Čislennosti i Faktory Vlijanija na nee, in: Ežegodnik Meždunarodnoj Associacii Issledovatelej Istorii i Kul’tury Rossijsjich Nemcev. Naučnyj Žurnal 1(2015), S. 194-210, hier S. 195.

[2] Odessaer Rundschau, Nr. 199, vom 01.11.1918.

[3] Deržavnyj Archiv Odes’koji Oblasti (DAOO), F. R – 1083, op. 1, spr. 122, ark. 56,67.

[4] Oleksandr Beznosov: Holod 1921-1922 rr. i Borot’ba z nym u Nimec’kych ta Menonits’kych Poselennjach Pivdnja Ukrajiny, in: Svetlana Bobyleva (Hrg.): Voprocy Germans’koj Istorii, Dnipropetrowsk 2007, S. 157.

[5] DAOO: F.R – 599, op. 1, spr. 362, ark. 2.

[6] Beznosov: Holod 1921-1922 rr., S. 160f.

[7] Beznosov: Holod 1921-1922 rr., S. 164f.

[8] Beznosov: Holod 1921-1922 rr., S. 165f.

[9] Stanislav Kul’čyc’kyj: Červonyj Vyklyk. Istorija Komunizmu v Ukrajini vid joho Narodžennja do Zahybeli. Bd. 2, Kyjw 2013, S. 65.

[10] Olga Konovalova: Nemcy Juga Ukrainy v 1914-1922 gg. (po materialam Gosudarstvennoho Archiva Odesskoj Oblasti), in: Ėl’vira Plesskaja (Hrg.): Nemcy Odessy i Odesskoho Regiona: Sbornik Dokladov, Sdelannych na Meždunarodnych Naučnych Konferencijach v Gettingene (Germanija), Odessa 2003, S. 79.

[11] Odesskij Martirolog: Dannye o Repressirovannych Odessy i Odesskoj Oblasti za Gody Sovetskoj Vlasti, Bd. 2, Odessa 1990, S. 508.

[12] Nikolaj Ševčuk: Položenie Nemeckich Kolonii v Odesskoj Gubernii v 1920-e gg., in: Nemcy Rossii i SSSR, 1901-1941 gg. Materialy Meždunarodnoj Naučnoj Konferencii, Moskau 2000, S. 275ff.

[13] Bohdan Čyrko: Specyfika Dijal‘nosti ta Stavlennja Orhaniv Radjans’koji Vlady do Nimec’kych Nacional’nych Kooperatyvnych Orhanizacij, in: Svetlana Bobyleva (Hrg.): Pytannja Nimec’koji Istoriji, Dnipropetrowsk 2012, S. 146ff.

[14] DAOO. F. 3, op. 1, spr. 825, ark. 40.

[15] Viktor Čencov: Tragičeskie Sud’by. Političeskie Repressii Protiv Nemeckogo Naselenija Ukrainy v 1920-1930-e Gody, Moskau 1998, S. 20ff.

[16] Čencov: Tragičeskie Sud’by, S. 30f.

[17] Čencov: Tragičeskie Sud’by, S. 35ff.

[18] Elena Solončuk: Dejatel’nost‘ Nemeckich Sekcij pri Partijnych i Ispolnitel’nych Komitetach Odesskoj Gubernii i Okruga (1920-1928gg.), in: Ėl’vira Plesskaja (Hrg.): Nemcy Odessy i Odesskogo Regiona: Sbornik Dokladov, Sdelannych na Meždunarodnych Naučnych Konferencijach v Gettingene (Germanija), Odessa 2003, S. 264.

[19] Kul’čyc’kyj: Červonyj Vyklyk, S. 182ff.

[20] Anton Bosch, Anton Bertsch, Michael Wanner: Trauerbuch Odessa. Stalins Staatsterror an den Deutschen in den Gebieten Odessa, Nikolajew und Cherson/Ukraine 1928-1953. Bd. 6, Nürnberg 2007, S. 15.

[21] Anton Bosch, Anton Bertsch, Michael Wanner: Trauerbuch Odessa, S. 16.

[22] Ol’ga Kubickaja (Hrg.): Nemcy Rossii. Ėnciklopedija v 4-ch Tomach. Bd. 3 (P-Ja), Moskau 2006, S. 596.

[23] Ol’ga Kubickaja (Hrg.): Nemcy Rossii. Ėnciklopedija v 4-ch Tomach. Bd. 3 (P-Ja), Moskau 2006, S. 597.

[24] Kul’čyc’kyj: Červonyj Vyklyk, S. 392.

[25] Ol’ga Kubickaja (Hrg.): Nemcy Rossii. Ėnciklopedija v 4-ch Tomach. Bd. 3 (P-Ja), Moskau 2006, S. 598.

[26] Kul’čyc’kyj: Červonyj Vyklyk, S. 515f.

[27] Neue ukrainische Währung ab dem 18. Juli 1917.

[28] Eduard Petrovskyj, Lidija Koval’čuk (Hrg.): Reabilitovanyj Istorijeju. Odes’ka Oblast’, Bd. 1, Odessa 2010, S. 405.

[29] Kul’čyc’kyj: Červonyj Vyklyk, S. 232f.

[30] Ol’ga Kubickaja (Hrg.): Nemcy Rossii. Ėnciklopedija v 4-ch Tomach. Bd. 3 (P-Ja), Moskau 2006, S. 600.

[31] Oleksandr Beznosov: Nimci ta Menonity Pivdnja Ukrajiny v Konteksti Radjans’koji Nacional’noji Polityky, in: Svetlana Bobyleva (Hrg.): Voprocy Germans’koj Istorii, Dnipropetrowsk 2011, S. 166.

[32] Nacional’ni Vidnosyny v Ukrajini u XX st.: Zbirnyk Dokumentiv i Materialiv, Kyjiw 1994, S. 90.

[33] Larysa Jakubova: Nacional‘no-Kul’turne Žyttja Etničnych Menšostej Ukrajiny (20-30-ti Roky): Korenizacija i Denacionalizacija, in: Ukrajins’kyj Istoryčnyj Žurnal, 1(52), 1999, S. 52.

[34] L. Malinova: Iz-pod Zavesy Tajny…, Odessa 2002, S. 79ff.

[35] L. Malinova: Iz-pod Zavesy Tajny…, Odessa 2002, S. 125.

[36] Vera Solodova: Odesskyj Nemecjyj Raboče-Kolchoznyj Teatr: Istoki i Stanovlenie, in: Ėl’vira Plesskaja (Hrg.): Nemcy Odessy i Odesskogo Regiona: Sbornik Dokladov, Sdelannych na Meždunarodnych Naučnych Konferencijach v Gettingene (Germanija), Odessa 2003, S. 306ff.

Quellen